Ich möchte euch gerne die Geschichte von meinem Pferd Tamar und mir erzählen. Eine Geschichte, bei der ich noch auf dem Weg zu meinem Pferd bin und wir mittendrin stecken, uns zu finden.
Tamar ist im Sommer 2021, gerade dreijährig geworden, in mein Leben gekommen. Ich war eineinhalb Jahre nachdem mein Herzenspony gestorben war, gezielt auf Pferdesuche und ich wusste auf den ersten Blick: Das ist sie. Eigentlich wollte ich einen Wallach. Eigentlich sollte das Pferd schon zwischen fünf und sieben sein. Eigentlich auch nicht ganz so groß … Aber die ganzen „Eigentlichs“ wurden zur Seite geschoben und Tamar wurde mein Pferd.
Sie ist ein Deutsches Sportpferd mit viel Blut und ein totales „Ein-Mensch-Pferd“, das viel zu sensibel für den Sport und für die typische Reiterei auf Kosten der Pferde ist. Sie soll mit ganz viel Zeit, Ruhe, Fachwissen, Selbstreflexionsbereitschaft und Liebe zum Freizeit-Dressurpferd und Therapiepferd ausgebildet werden. Ich selbst bin engagierte Freizeitreiterin, reite gerne sportlich, interessiere mich sehr für biomechanische Zusammenhänge und finde, dass die klassische englische Reitlehre, wenn man sie denn wirklich wörtlich nimmt, sich auch wirklich an die Skala der Ausbildung hält etc. gar nicht so falsch ist.
Es begann ganz leicht …
Nachdem ich Tamar einen Monat in ihrem Heimatstall kennengelernt hatte, zog ich mit ihr nach Norddeutschland, da dort mein eigentliches Zuhause ist, ich sie aber in Baden-Württemberg gekauft hatte. Erstmal starteten wir in eine super schöne und sehr entspannte Zeit und ich war immer wieder überrascht, wie einfach es mit einem jungen Pferd doch sein kann:
Wir waren alleine spazieren und
in allen drei Gangarten ausreiten,
ritten in fremden Hallen, ohne dass sie sich auch nur ein bisschen aus der Ruhe bringen ließ,
machten Freiarbeit auf dem Platz und
sie kam schon zum Tor ihres schönen Offenstalls, wenn sie mein Auto hörte.
Natürlich war nicht alles perfekt, manchmal machte sie im Gelände einen Satz. Einmal überraschte mich ein besonders großer Bocksprung und ich landete im Sand. Und mal stieg sie an der Hand, wenn auf der Weide nebenan die Pferde umher tobten. Doch alles in allem war es ein easy erstes Jahr für uns.
… wurde dann aber schwieriger
Vierjährig wechselte Tamar dann den Stall. Da unser kleiner Offenstall im Begriff war, sich aufzulösen, entschied ich mich für einen Stall mit besseren Trainingsbedingungen, um reiterlich ein bisschen mehr voranzukommen. Wir hatten immer noch gute Phasen, aber nun gab es die schwierigen Phasen auf jeden Fall auch! Es war vor allem zu viel Energie, die Tamar unter dem Sattel loszuwerden versuchte, und ich saß teilweise auf einem auf der Stelle wie wild bockenden Pferd. Sie stieg immer öfter an der Hand, auch wenn keine Pferde nebenan tobten, sondern nur der riesige leere Reitplatz gerade so einladend zum Rennen schien. Ausreiten ging nicht mehr, schon auf den ersten 100m weg vom Hof war sie mir dreimal durchgegangen. Mit viel „erstmal laufen lassen“ und ablongieren schafften wir es dann zwar, durch den Winter zu kommen, aber das war alles nicht so, wie ich es mir wünschte, und die Tipps der Stallkollegen belasteten mich mehr und mehr. Ich sollte strenger sein, ich sollte mich mal durchsetzen, ich sollte eine schärfere Ausrüstung verwenden, ich sollte sie eng ausbinden beim Longieren, so dass sie sich zum Bocken nicht so frei machen kann … Ich hielt zwar durch und longierte tapfer weiter am Halfter oder am Kappzaum, je nachdem worauf der Schwerpunkt an dem Tag gesetzt wurde, aber wohl fühlten wir uns nicht.
Und da stehen wir heute
Knapp acht Monate später zog Tamar dann wieder in einen Offenstall. Es ist ein ganz besonderer Offenstall, in dem die Herde im Sommer auf 25 Hektar Naturschutzgebiet lebt und ich es mir freier und artgerechter nicht vorstellen konnte. Wir begannen also ein neues Kapitel und Tamar war direkt mit dem Umzug viel ausgeglichener. Wir haben aber immer noch die Momente, in denen sie mir manchmal an der Longe völlig durchdreht. Dann steigt sie und bockt und steht da zitternd vor Anspannung und kann gar nicht mehr klar denken. An anderen Tagen sind wir dann wieder völlig entspannt ausreiten, reiten ohne Sattel auf der Koppel, schaffen es alleine vom Naturschutzgebiet an den Stall zu gehen und dort voller Freude und Motivation zu arbeiten. Aber das gilt leider nicht immer.
Genau heute komme ich wieder mit Brandblasen an den Händen nach Hause, weil sie mir in der Bodenarbeit auf der Koppel mal wieder völlig explodierte, als anscheinend für sie die Zeit gekommen war, dass sie jetzt doch auch mal wieder zur Herde zurück könnte. Fünf Minuten später bietet sie mir in der Freiarbeit dann wieder Seitengänge an, lässt sich frei von einer Führposition hinter dem Pferd über die Koppel dirigieren und fühlt sich pudelwohl in meiner Gesellschaft. Mein Pferd bringt mich manchmal an den Rand der Verzweiflung und ich habe auch immer wieder Angst vor ihr, um sie und ob es uns gelingt, die Situation noch zum Guten zu wenden.
Ich arbeite nun mit Tanias und Babettes Anti-Angst Kurs, aber auch da haben wir noch ein Stück Weg vor uns. Aber mit Tanias Einstellung fühl ich mich sehr sehr wohl. Wenn ich ihre Bücher, Kurse und Blogbeiträge lese, bestärkt es mich immer wieder, dass wir in noch kleineren Schritten arbeiten sollten und ich kein „böses, unberechenbares“ Pferd habe. Ich glaube daran, dass wir auf diese verständnisvolle, ruhig und konsequente Art noch zu einem Team werden, das immer weniger Tamar-Explosionen überstehen muss und wir uns irgendwann so gut gefunden haben, dass immer feiner und sanfter miteinander kommuniziert werden kann. Morgen zum Beispiel werden wir in der Bodenarbeit auf der Koppel immer wieder absichtlich zurück zur Herde gehen. Ich denke nun, sie braucht kurz die Sicherheit, dass alle da sind, der Chef aufpasst und ihre Freunde auf sie warten und hoffe, dass sie dann in der Bodenarbeit nicht mehr das Gefühl hat, jetzt ganz schnell zurück zu müssen.
Wenn Ihr für diesen Weg noch Tipps und Ratschläge habt, freue ich mich sehr darüber! Tamar ist mein Seelenpferd und ich weiß, wir schaffen das, aber manchmal kann ich trotzdem ein bisschen Rückhalt und Unterstützung gebrauchen.
Ich mag Türen viel mehr als Fenster, denn durch Türen kann man gehen, durch Fenster nur schauen. Was wir hier in den Social Media sehen, ist oft nur ein Blick aus dem Fenster. Ein Blick aus dem Fenster in mehr oder weniger reale Welten. Wir sehen andere, wie sie mit ihren Pferden umgehen, wir sehen spektakuläre Aktionen, wir lesen ein paar Worte dazu, die ein Bild in eine bestimmte Richtung interpretieren. Aber was wir nicht erleben, ist das echte Pferdeleben.
Ein Blick aus dem Fenster lässt uns nicht viel fühlen, lässt uns nichts hören, nichts riechen, nichts tun, sondern lässt uns nur etwas sehen — und das kann auch ein falscher Eindruck sein. Eine Tür hingegen können wir öffnen. Um das zu tun, müssen wir selbst aktiv werden. Was wir dann dort finden, ist unsere Welt – die einzige Welt, die wir selbst wirklich erleben und auch gestalten können.
Rein ins echte Pferdeleben
An diesem Wochenende habe ich mich nach einer langen Arbeitswoche mit viel Zeit am Rechner bewusst auf Social-Media-Entzug gesetzt und war gaaaanz viel draußen. Bei den Pferden und auf den Pferden und auf meinen eigenen Füßen unterwegs im Wald… Nun bin ich satt, zufrieden und glücklich. 🧡
Wie geht es Euch damit? Müsst Ihr Euch auch manchmal klarmachen, dass so ein Zuschauer-Dasein deutlich zu wenig ist und dass es sooo gut tut, einfach rauszugehen und „in echt“ zu leben? Schreibt mir dazu in den Kommentaren.
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber so oft ich auch beim Abäppeln auf dem Paddock über Matsch fluche oder auf der Wiese darüber, dass ich die Äppel immer aus den längsten Stellen des Grases herausfischen muss, so schätze ich diese Arbeit auch und möchte sie nicht missen.
Abäppeln gehört dazu
Für mich haben solche Tätigkeiten schon als Reitanfängerin dazugehört und ich denke, niemand sollte einfach nur reiten, sondern immer auch praktisch bei der Versorgung anpacken. Das schafft ein Bewusstsein darüber, dass wir es nicht mit (Sport-)Geräten zu tun haben, sondern mit lebendigen Wesen mit vielen Bedürfnissen. Darüber hinaus gibt es so viel Spannendes zu beobachten, während man auf einer Wiese oder dem Paddock abäppelt: Einfach mal nur schauen, was die Pferde tun und wie sie sich verhalten, wenn man nichts mit ihnen unternimmt, sondern quasi zu einem Teil der Landschaft wird. Und wie weit mein Herz aufgeht, wenn Anthony, während ich mit dem Mistboy unterwegs bin, ganz gemütlich zu mir geschlendert kommt und mal schaut, ob er vielleicht noch ein Leckerli bekommt oder eine Streicheleinheit, und dann in meiner Nähe bleibt. Von außen gesehen ist das für viele sicher nichts Besonderes, ich finde es wunderschön.
… und schenkt mir etwas
Aber da ist noch mehr: Abzuäppeln erdet mich. Es ist etwas Notwendiges und Sinnvolles und es bringt mich herrlich runter auf ein normales Maß in der Beurteilung von dem, was wirklich wichtig ist und was nicht. Irgendwie scheint die Welt immer verrückter zu werden und oft fühle ich mich schrecklich überfordert mit all den vielen Informationen, Nachrichten, Bedrohungen, Optionen, Forderungen, Aufrufen und Entscheidungen, die ich treffen muss. Wie gut es da tut, hin und wieder solch klare Aufgaben zu haben, bei denen es nicht viel zu bedenken gibt, sondern die einfach erledigt werden müssen.
Und eine Prise Humor ist auch noch drin, denn am Ende schmunzle ich fast immer, weil genau da, wo ich begonnen hatte, garantiert schon wieder zwei, drei Haufen liegen. 😏
Nun würde mich ja sehr interessieren, wie Euer Verhältnis zum Abäppeln ist – nur ungeliebt oder könnt Ihr der Sache auch etwas abgewinnen? Schreibt mir gern was in die Kommentare!
Viele Pferdemenschen fürchten negative Veränderungen, wenn sie ihren Pferden mehr Freiräume zugestehen, also Mitentscheidungs- und Mitgestaltungsrechte. Dann würde das Pferd sicher „gar nichts“ mehr machen wollen oder „nur noch Probleme“. Diese Angst berührt mich jedes Mal sehr, denn sie geht meiner Erfahrung nach von einem vollkommen falschen Pferdebild aus und führt oft gerade erst zu einem Nein beim Pferd.
Pferde warten nicht auf „Lücken im System“ oder auf „Chancen, sich zu entziehen“. Oder besser gesagt: wenn sie das wirklich tun, läuft etwas gewaltig falsch. Oft führen unsere Forderungen, zu viel Druck oder gar Gewalt zu einer schlechten Grundstimmung und zu einem Nein des Pferdes. Dann denkt der Mensch, er müsse noch mehr Druck oder Gewalt anwenden – wozu das führt, ist leider überall zu sehen. Damit Pferde ja sagen können, müssen wir ihnen eine Wahl geben. Wenn wir das tun, sind wir nämlich gefordert, für ein Miteinander zu sorgen, dass dem Pferd Freude bereitet. Und dann können sogar echte Nein-Sager zu motivierten Pferden werden.
Ein Ja zum Nein beim Pferd führt ganz oft zu einem Ja
Wie diejenigen von Euch, die schon länger mitlesen, wissen, habe zum Beispiel meinem Anthony zugestanden, dass er nicht geritten werden will. So habe ich es jetzt eine Weile auch gar nicht mehr versucht. Neulich fragte ich ihn spontan, ob ich mich wohl einmal auf seinen Rücken setzen darf, weil mir gerade so sehr danach war. Ich durfte! Dieser Moment war so schön und ich war bereit, gleich wieder abzusteigen, als er sich zu mir umdrehte. Es war, als wollte er fragen, was denn nun mit Reiten ist – und ging dann von sich aus im Schritt los! Ich war vollkommen überrascht. Er stapfte fröhlich voran, ließ sich lenken, ja, trabte sogar an, so als wäre das Reiten nie ein Problem gewesen.
Nach wenigen Minuten bin ich abgestiegen und habe ihn als das tollste Pony der Welt gefeiert! Im Moment kann ich ihn also auch wieder ein bisschen reiten und aus meiner Sicht nur, weil er die Wahl hat.
Ich erlebe immer wieder ganz wundervolle Veränderungen, wenn Leute den Mut finden, ihr Pferd nicht länger zu beherrschen, sondern sich auf eine echte Kommunikation mit ihnen einlassen. Nein, es geht dabei nicht darum, dem Pferd alles durchgehen zu lassen! Es geht darum, unseren Pferden zuzugestehen, Ansichten zum gemeinsamen Miteinander zu haben. Je besser wir verstehen, was ein Pferd mag und was nicht, was es motiviert und was frustriert, was ihm leicht fällt und was schwer, desto angenehmer, sinnvoller und fröhlicher können wir alles gestalten, was wir mit ihm vorhaben – den Umgang, das Training und das gesamte Miteinander.
Im Urlaub war ich auf einer Wanderung, die zu einem kleinen Abenteuer wurde. Man hatte uns gesagt, dass es querfeldein einen Weg geben sollte, der uns mit einer Abkürzung zurück zur Unterkunft bringen würde. Der erste Teil war klar ersichtlich, doch dann wurde es wild. Es gab viele schmale Pfade, offenbar von Ziegen gegangen, viele waren wieder überwuchert und zugewachsen.
Um die Vegetation so wenig wie möglich zu stören, setzten wir unsere Füße vorsichtig und gingen achtsam. Wir kamen nur langsam voran, denn immer wieder mussten wir erst einmal schauen, wo es nun lang gehen könnte und ob wir noch in der richtigen Richtung unterwegs waren. Wir nahmen uns auch Zeit, die Umgebung wahrzunehmen und die Ausblicke zu genießen. Kurz vor unserem Ziel kamen wir an ein echtes Hindernis: Große Steine und Kakteen versperrten uns das Weitergehen. Wir probierten es an verschiedenen Stellen, sahen aber ein, dass wir da nicht durchkommen würden. Also gingen wir wieder etwas zurück und hielten uns ein Stück weiter links. Und siehe da: Wir stießen auf einen breiteren Weg, der uns zu unserem Häuschen führte.
Dein Abenteuer mit Deinem Pferd
Warum ich Euch das erzähle? Weil für mich so viel in dieser kleinen Geschichte steckt, das mit unserem Zusammensein mit Pferden zu tun hat: Wir fragen andere um Rat, die uns sagen, was zu tun ist. In der Anwendung erkennen wir dann aber, dass es ganz viele Wege in der Umsetzung gibt. Manche davon zeigen sich klar und deutlich, andere lassen uns erst einmal ratlos dastehen. Einige sind leicht für uns und unser Pferd zu gehen, andere beschwerlich. Je achtsamer wir unsere Schritte wählen, desto kleiner werden unsere Fehler. Immer wieder sind wir auch mal unsicher darüber, wo es nun langgeht und was wir tun sollen. Dann gilt es innezuhalten, um zu reflektieren und einen Überblick zu bekommen. Und manchmal ist es auch nötig, ein ganzes Stück zurückzugehen, was aber nichts mit Unvermögen zu tun hat oder mit Versagen, sondern was klug und angemessen ist.
Und ja, natürlich können in der Wildnis Macheten helfen, um die Sache zu beschleunigen. Aber wer sind wir denn, dass wir unsere Wege mit Gewalt schaffen dürfen und was alles verpassen wir alles durch solche Lösungen? Das ist für mich eine Frage, die auch für die Pferdewelt eine sehr wichtige ist.
Tipp: Eine Art Reiseführer für Dein Abenteuer mit Deinem Pferd ist mein Kurs Versteh Dein Pferd.